[BZ] Rehabilitierung von verurteilten Schwulen

Zehntausende Männer sind bis Ende der 60er Jahre in der Bundesrepublik wegen homosexueller Handlungen bestraft worden. Justizminister Maas (SPD) will diese Urteile nun pauschal aufheben.

“Für die Homosexuellen endete die Nazizeit erst 1969”, sagt der Schwulenaktivist Mathias Falk von der Rosa Hilfe in Freiburg. Erst in jenem Jahr nämlich wurde ein Gesetz aus dem “Dritten Reich” aufgehoben, der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches, der für Sex zwischen Männern eine Gefängnisstrafe vorsah.

Wie viele Männer genau nach diesem Paragraphen in der Bundesrepublik bestraft wurden, weiß man nicht. Schätzungen von Historikern kommen auf 50.000 bis 64.000 Verurteilungen. Auch wie viele damals Verurteilte noch am Leben sind, weiß niemand genau. Jetzt aber sollen sie späte Wiedergutmachung erfahren. Justizminister Heiko Maas (SPD) will ein Gesetz vorlegen, mit dem die Urteile gegen diese Männer aufgehoben werden (siehe unten).

Es wäre die endgültige Anerkennung, dass hier in der Bundesrepublik Unrecht gesprochen wurde. Eine jahrhundertelange Tradition der Schwulenfeindlichkeit war damit fortgesetzt worden. Drohte Homosexuellen in früheren Jahrhunderten die Todesstrafe, gab es andererseits in einzelnen deutschen Ländern wie Bayern und auch Baden Zeiten der Straflosigkeit. Mit der Gründung des Kaiserreichs wurde in Deutschland die Gefängnisstrafe für “widernatürliche Unzucht” flächendeckend eingeführt (siehe Hintergrund rechts). In der NS-Zeit wurde der Paragraph 175 noch verschärft, rund 53 000 Urteile wurden bis 1945 ausgesprochen .

Mit dem Ende des “Dritten Reiches” verschwanden zwar zum Beispiel die Rassegesetze, der Paragraph 175 aber galt weiterhin. So wurden sogar, so berichtet William Schaefer, früherer Lehrer und Homosexuellen-Historiker aus Denzlingen, Männer, die aus Konzentrationslagern befreit worden waren, wieder aufgegriffen, wenn sie ihre Strafe wegen homosexueller Handlungen noch nicht ganz verbüßt hatten.

Einigermaßen offen, so wie heute, ihre Homosexualität zu leben, das war Männern in der Bundesrepublik bis in die 70er Jahre hinein verwehrt. Schwule galten als Verbrecher, die Polizei führte “Rosa Listen”. Und wer vor Gericht gestellt wurde, der konnte seine bürgerliche Existenz verlieren. Ein verstorbener Freund, so Schaefer, habe ihm erzählt, wie er der Öffentlichkeit preisgegeben worden sei: In Handschellen sei er in Freiburg durch die Straßen vom Gefängnis zum Gericht gebracht worden.

Mit einer Verurteilung ging in der Regel der Verlust des Arbeitsplatzes einher. Nicht viele dürften das Glück gehabt haben, das der Freiburger Heinz Weichenberger hatte, der seine Geschichte vor einem Jahr der Wochenzeitung Der Sonntag erzählte. Als 18-Jähriger stand er 1961 vor dem Amtsgericht, die Verurteilung zu sechs Monaten Jugendgefängnis wurde auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, weil er gerade eine Lehre bei Kaufhof angefangen hatte. Wie viele Männer aber eine Ausbildung oder ein Hochschulstudium wegen einer Verurteilung nicht beenden konnten, das kann niemand einschätzen.

Viele Betroffene wollen bis heute nicht auffallen

Der materielle Schaden, den der Paragraf 175 angerichtet hat, so Mathias Falk, ist deshalb unmöglich zu ermessen. So findet er es auch mehr als angemessen, dass der Gesetzentwurf aus dem Justizministerium neben einer individuellen Entschädigung auch eine kollektive Entschädigung vorsieht.

Die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (Biss) schlägt vor, dafür die Summe als Maßstab zu nehmen, welche die Bundesregierung im Jahr für Projekte gegen Homophobie ausgibt und mit 20 zu multiplizieren – der Anzahl der Jahre, in denen der Paragraf 175 in der Bundesrepublik galt. Das Ergebnis wäre ein hoher zweistelliger Millionenbetrag. Finanzieren will die Biss aus dem Entschädigungsfonds Projekte für die älteren Generationen schwuler Männer, vor allem in der “kultursensiblen Versorgung, Pflege und Begleitung” im Alter.

Erreicht werden damit aber vermutlich nicht alle Betroffenen. “Unter den heute hochbetagten Schwulen,” schreibt die Biss in einer Erklärung, “ist der Anteil derer groß, die weiterhin traumatisiert und versteckt leben und beispielsweise in Einrichtungen der Altenpflege ‚nicht auffallen’ wollen”. Nicht nur, wer damals vor Gericht gekommen und womöglich verurteilt worden sei, sagt auch Mathias Falk, habe die “Homonegativität” verinnerlicht, also die abwertende Haltung der Umwelt gegenüber homosexuellen Männern.

Und so werden viele, die eigentlich einen Anspruch hätten, wohl keinen Antrag auf eine Entschädigung stellen. Auch wenn Initiativen wie die Rosa Hilfe in Freiburg ihnen natürlich helfen würden. Tausende Betroffene, so schätzt William Schaefer, leben wohl alleine in Baden-Württemberg noch.

Immerhin aber bleibt ihnen allen, dass sie nicht mehr als vorbestraft gelten werden. “In jedem Fall”, sagt Mathias Falk, “ist das ein Signal, das ihnen sagt: Es war und ist keine Schande, gleichgeschlechtlich zu lieben.”

Quelle:

http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/die-polizei-fuehrte-rosa-listen–124634383.html